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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

chronik → kleine anfrage Wiesmann, BS 1972
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Kleine anfrage betreffend die einführung der gemässigten kleinschreibung in schule und verwaltung

Parlamentarischer vorstoss von grossrat Louis Wiesmann im grossen rat des kantons Basel-stadt, 20. 1. 1972

Seit jahren sind bestrebungen im gange, in schule und verwaltung die gemässigte kleinschreibung einzuführen, und zwar durch ein gemeinsames vorgehen der Bundesrepublik Deutschland, Oesterreichs und der Schweiz. Die neuregelung entspräche dem gebrauch grosser buchstaben im französischen, englischen usw. Das deutsche sprachgebiet ist das einzige, in dem man meint, ein text werde verständlicher, wenn alles, was substantiv ist oder als substantivverdächtig angesprochen werden kann, gross geschrieben wird.

Die regeln über die gross- und kleinschreibung, wie sie der Grosse Duden vorschreibt, sind dermassen unübersichtlich und namentlich derart von zufall und willkür abhängig, dass sie als unsinn bezeichnet werden müssen. Es besteht ein breites niemandsland, wo die argumente für eine gross- oder kleinschreibung etwa gleich stark sind. In diesem niemandsland sind tausende von einzelwörtern und festen ausdrücken angesiedelt.

Namentlich für die schule sind die regeln über gross- und kleinschreibung ein hauskreuz. Im verlauf der schulpflicht müssen an diese regeln ungezählte schulstunden verschleudert werden, deren bildungsertrag nahezu null ist. Man könnte diese zeit für sinnvolleres verwenden. Nicht einmal ein begabter maturand kennt sich schliesslich aus, es sei denn, er betreibe die ortografie mit der gleichen leidenschaft, mit der andere briefmarken oder steine sammeln, und sogar der deutschlehrer fühlt sich nicht wirklich sicher.

Es wäre an der zeit, diesen regelwald abzuholzen, und es wäre dabei sinnvoll, in der Schweiz präjudizien zu schaffen, welche der ortografischen vernunft den weg ebnen könnten; denn eine neue regelung wird über kurz oder lang bestimmt kommen. Seitdem Dänemark vor etwa zwanzig jahren die gemässigte kleinschreibung schmerzlos und mit durchschlagendem erfolg eingeführt hat, sind fast alle skeptiker unter den germanisten bekehrt. Es wäre zu hoffen, dass sich bei uns auch die behörden dieser heilsamen bekehrung anschliessen könnten.

Ich lade deshalb den regierungsrat ein, zu prüfen und zu berichten, ob

a) unser kanton allein in schule und verwaltung die gemässigte kleinschreibung einführen könnte

oder

b) auf initiative unserer regierung die konferenz der kantonalen erziehungsdirektoren eine Lösung für alle deutschsprechenden kantone anstreben könnte, der sich dann auch die bundesverwaltung anschliessen müsste

oder

c) beides zugleich angestrebt werden könnte.